Montag, 3. August 2015

Ihr fragt - Jolinas Welt antwortet

Nun ja, oder eher ich antworte, die Mutter von Jolina und der Schreiberling dieses Blogs.

Ich hatte Euch ja hier gebeten mir Fragen zu stellen und keine Scheu zu haben. Ich werde jetzt versuchen wöchentlich eine zu beantworten und freue mich auch weiterhin über Fragen, zu denen mir oft gar kein Blogbeitrag einfallen würde, weil wir so mitten drin sind und vieles für uns Alltag ist.

Heute die erste Frage:

"Haben sich Freunde/Bekannte/Familie von Euch abgewandt?"


Das waren auch Gedanken die mir durch den Kopf gingen als ich da in meinem Zimmer im Krankenhaus lag, nach der Geburt und Jolina auf einem anderen Stockwerk auf der Neugeborenenintensivstation.

Selbst wenn wir dann gut klar kämen mit einem Kind mit Down Syndrom, wie würde unsere Familie reagieren, würden wir Freunde verlieren? Was würde aus unserem bisherigen Leben werden?

Ich war heil froh, dass mein Mann die undankbare Aufgabe hatte es den Familien beizubringen. Somit weiß ich eigentlich auch gar nicht wie die ersten Reaktionen waren, denn mein Mann ist eben ein typischer Mann und hört nicht die Feinheiten aus einem Satz die eine Frau raus hören kann, oder meint etwas zu hören, so einen Unterton eben.

Jetzt hatte sich unser Leben allerdings erst 3 Jahre vorher komplett geändert, denn wir waren nie die großen "Weggeher" die sich Abends oder am Wochenende mit Bekannten trafen oder in einem Verein die Gemeinschaft suchten.

Wir waren ziemlich beruflich eingespannt und wenn wir Urlaub hatten, dann waren wir auch in der Welt unterwegs, tauchen oder Städte besichtigen oder im warmen Sand liegen und lesen.

Unser Bekanntenkreis waren Urlaubsbekanntschaften, mit ähnlichen Interessen und meist auch schon etwas älter wie wir und kinderlos.

Nachdem Louisa zur Welt kam schliefen diese Freundschaften zwangsläufig ein, denn dann fehlen die Gemeinsamkeiten, während die einen nur Windeln wechseln, schippern die anderen auf Kreuzfahrtschiffen durch die Ozeane.

Daher kannten wir das ja schon und das dies ein natürlicher Prozess ist, aber kein Abwenden.

Wir fanden durch unser 1. Kind viele Bekannte und auch gute Freunde hier im Ort, waren plötzlich in Vereinen aktiv und wurden ein Teil einer guten Ortsgemeinschaft in der wir vorher nur die "Zugezogenen" waren.

Jedoch hätte ich im Traum nicht daran gedacht was nach Jolinas Geburt passierte. Wir wurden so aufgefangen von diesen Menschen, wir bekamen so viele Geschenke zu Jolinas Geburt und Glückwunschkarten und liebe Worte, damit hätte ich niemals gerechnet und nein, von diesen Menschen hat sich keiner abgewandt, vielmehr vertrauten sich plötzlich Fremde uns an und erzählten von ihrer Familie oder Bekanntenkreis wo es auch einen "besonderen" Menschen gab oder auch von eigenen Kindern und ihren Nöten und Sorgen.

Auch in der Familie habe ich keine Ablehnung erfahren oder Berührungsängste, vielleicht weil wir auch sehr offen mit Jolinas Down Syndrom umgingen.

Es wäre natürlich eine Traumvorstellung, wenn es gar keine bösen Worte gegeben hätte, doch die haben mich weniger verletzt als in meiner Meinung über diese Menschen bestätigt.

Da sagte doch der Vater meines inzwischen volljährigen Patenkindes: "Das war ja klar, dass so etwas passieren muss, wenn so eine alte Frau meint noch Kinder bekommen zu müssen."

Erklärend hierzu sollte ich wohl sagen, dass mein Patenkind ebenfalls geistig behindert ist (was die Eltern nie so sehen wollten) hervorgerufen durch Hirnschädigungen die entstanden sind durch nicht erkannte Epilepsie und zusätzlich war das Kind ein Extremfrühchen, der Mutter war damals von den Ärzten gesagt worden, sie solle mit ihrem Diabetes bitte nicht versuchen noch weitere Kinder zu bekommen. War dies dann die Retourkutsche? Weil wir auch solche Unbelehrbaren waren? 
Zusätzlich waren diese Leute immer sehr eifersüchtig auf unsere Reisen, die wir uns aber nur leisten konnten, weil wir eben keine Kinder hatten - es aber 13 Jahre versucht hatten bis es klappte und daher war ich eben eine so alte Mutter und da passiert so etwas eben, stimmt, hat er Recht, sagt man aber nicht und vor allem nicht wenn man im Glashaus sitzt.

Unsere besten Freunde sehen wir nur sehr selten, durch räumliche Trennung und auch dadurch, dass sie schon einen älteren Sohn haben, das ist einfach so und hat auch nichts mit Jolina zu tun.

Wir haben allerdings durch Jolina sehr viele neue Menschen kennengelernt, die wir sonst niemals getroffen hätten. Menschen mit denen uns oft nur das zusätzliche Chromosom unserer Kinder verbindet und trotz der Unterschiede in unsren Lebensmodellen und Überzeugungen macht uns das zu einer Art Familie und oft sehr innigen Freunden.

Zur Zeit merke ich jedoch trotzdem ein Auseinandertriften mit manchen Freunden, denn es ist eben alles nicht so einfach. Während die Kinder der Bekannten zB im Wald toben können, müssen wir unsere Tochter immer im Auge behalten (jedenfalls ist das im Moment noch so) unsere Sorgen sind andere wie die von anderen und so sehr sich unser Leben einfach auf Jolinas Behinderung eingestellt hat, so ist es unser Umfeld eben nicht.

Es sind Kleinigkeiten, doch die fallen uns nur auf, wenn wir in Berührung mit anderen kommen.
zB ist unser Garten komplett abgeschlossen, keine Möglichkeit zu entkommen, sind wir wo anders kann man sich niemals zurücklehnen wenn die Kids im Freien toben.

Einfach mal einen Babysitter buchen und einen gemütlichen Abend?
Wir haben Jahre gesucht bis wir jemanden hatten.
Nicht weil Berührungsängste bestünden, nein, aber es ist eben ein kleines bisschen anspruchsvoller und ein bisschen anders als mit anderen Kindern ohne Extra. Und zusätzlich bin ich auch noch ein Kontrollfreak.

Manchmal muss ich auch gestehen ziehe ich mich etwas zurück. Denn es gibt nichts nervigeres wie "Das kann Jolina aber schon gut!" Nein! Kann sie eben nicht, sie ist 6 Jahre alt und das was gerade so gelobt wurde machen zweijährige auch schon ganz toll.
Ich bin unfair, stimmt, aber auch oft einfach ziemlich müde und lechzend nach Normalität.

Noch ein Grund mich zurück zu ziehen sind diese Mütter die das alles kennen. Wenn ich etwas von Jolina erzähle kommt "Das macht meiner auch" oder "Das war bei uns genau so!" NEIN!!! Eben nicht, wäre es genau so hätten diese Kinder sicher auch einen Behindertenausweis, oder bekämen die Empfehlung für eine Sonderschule.
Ich weiß, es ist nicht böse gemeint, doch wenn ich schon mal (was selten ist) mein Herz ausschütte will ich nicht abschwächend hören, dass es woanders genau so ist, sondern vielleicht ein bisschen bedauert werden.
Darüber unterhalten wir Mütter von behinderten Kindern uns übrigens häufiger, dass wir das nicht mögen und, dass wir uns unverstanden fühlen und dass solche Geschichten von einem Kind das total neben der Spur ist, weil das Brot falsch geschnitten war oder weil die Zahnbürste jetzt grün statt blau ist, vielleicht in abgeschwächter Form auch in anderen Familien vorkommen, doch deshalb 2 Stunden wüten und schreien ohne Möglichkeit das zu stoppen? Wohl kaum. Wir und auch andere Eltern haben gelernt damit umzugehen und es nicht persönlich auf uns zu beziehen wenn das Kind ausflippt, doch es geht trotzdem an die Substanz und man will dann nicht hören, dass es woanders ja auch ganz genau so ist, ist es nicht. Denn dem 2 Stunden Brotdrama, folgt eventuell noch ein Zähneputzdrama, eins um den Schlafanzug, den Platz auf der Couch und und und....
aber natürlich sind das die blöden Tage und es gibt dafür viele Gute, aber diese schlechten Tage möchte ich anerkannt bekommen als besondere Leistung und nicht abgetan bekommen mit "ist bei uns genau so" 
wäre es woanders genau so würde ich nicht öfter hören: "Du siehst im Moment gar nicht gut aus, so müde!" Stimmt, liegt wohl daran, dass es bei uns genau so ist wie woanders, ich das aber nicht so gut wegstecke. (genug Ironie) aber das ist der Grund warum ich mich selbst von manchen Bekannten etwas entfernt habe und nicht die von uns.


2 Kommentare:

  1. das hört sich aber ja nach einem guten familien-/freundegerüst an.

    manche leute braucht man nicht im leben und manches läuft einfach aus. (was sich manchmal auch als gut rausstellt)

    ich habe durch meinen umzug nach berlin auch erfahren, wer wirklich interesse an einer freundschaft hat. da habe ich lieber einen kleinen freundeskreis, dafür aber einen guten.

    aber das mit dem patenkindvater ist echt heftig. da wüsste ich nicht, wie ich reagiert hätte.

    erstmal grüße ich sehr sonnig aus der weltbesten stadt. ich freue mich auf die nächsten fragen.

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  2. Hallo !
    Ich lese hier schon eine Weile mit und muss sagen, dass ich voll und ganz Zustimmen kann, dass es schon manchmal nervt, wenn andere die Behinderung ständig herunter spielen.......Mein Sohn wird bald 2, hat eine Wahrnehmungsstörung/geistige Entwicklungsstörung und eine tetra-spastische Lähmung.....seit kurzem kann er sich (bei guter Laune) mit den Armen ein paar Meter vorwärts ziehen und sich hin und wieder drehen.....und mir sagt man auch ständig: "Oh, das kann er aber super" oder " So ging es bei XY auch los".....Toll...bei deren Kindern ging das aber im Alter von wenigen Monaten los....natürlich freue ich mich, dass mein Sohn das überhaupt kann, aber manchmal ist es einfach ätzend......Ich denke, dass es aber wirklich meist Hilflosigkeit ist bzw. möchte das Gegenüber halt einfach etwas Positives sagen......das ist mir immer noch lieber, als wenn - und das ist mir tatsächlich schon passiert - eine Mutter eines ebenfalls behinderten Kindes sagt: " Dies und jenes kann meiner aber schon viel besser, als dein Sohn"...Was soll mir das denn bitte sagen ? Wir sollten uns gegenseitig unterstützen und nicht noch fertig machen....

    Liebe Grüße und weiter so mit diesem schönen Blog,
    Judith.

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